Poetiken des Konkreten – German

November 1, 2018 by admin Uncategorized 0 comments

Die Bezeichnung konkret, bezogen auf die Malerei und geprägt in den Dreißigerjahren des zwanzigsten Jahrhunderts,  erhob den Anspruch, sich radikal vom Begriff „abstrakt“ zu unterscheiden, weil es dabei nicht darum ging, Sublimierung, Metapher oder Flucht aus der Wirklichkeit zu sein. Die konkrete Malerei wollte selbst eine neue Wirklichkeit erschaffen.

Diese absolute Bedingung – die plastische Schöpfung ganz frei jeglichen Bezugs (literarisch, musikalisch) oder Charakters (expressiv, introspektiv) – entwickelte sich im Laufe des Jahrhunderts in Bewegungen wie dem amerikanischen Post-painterlyAbstraction oder europäischen Varianten wie der Gruppe Supports-Surfaces (oder später Neo-Geo) mittels einer Malerei, die manchmal sehr sinnliche Effekte aufwies, aber grundsätzlich auf einem Prinzip der Rationalisierung des kreativen Prozesses beruhte, einem Prinzip, dem auch die Arbeiten der Künstler der Gegenwart, die in dieser Ausstellung präsentiert werden, unterliegen.

Dieses Prinzip der Rationalisierung des kreativen Prozesses setzt eine vollständige Analyse der verschiedenen Komponenten der Malerei (sei es die Farbe, das Trägermaterial, die Textur, etc.) voraus, ebenso wie eine Analyse ihrer dynamischen wechselseitigen Beziehungen. Auf diese Weise gelangt man zu einer Erforschung der Grenzen der Malerei und  jenseits dessen, was der Rahmen spezifisch auferlegt – ein Gestus, der in der gegenwärtigen Ausstellung symbolisch von einem Werk Mar Vicentes illustriert wird, das aus gefalteten Leinwänden besteht, die vom eigenen Rahmen getrennt sind („Monochromes Collection“, 2014),  und auch von dem Werk GáborErdélyis, „AiryColours Hung out to Dry“ (1997), wo die Leinwände wie Farbfelder sind, die sich völlig von der Grundlage befreien; der Künstler spielt hier mit den Grenzen zwischen Grundlage und Oberfläche, Malerei und Objekt.

Viele der in der Ausstellung gezeigten Werke sehen aus wie Gegenstände des Alltags. Auf den ersten Blick wirken sie wie an einer Mauer installierte Regale, Kleiderhaken an einer Wand oder Transportkisten, die irgendjemand vergessen hat… Außerdem haben alle Werke „menschliche“ Maße, was aufgrund der einfachen Erreichbarkeit die enge Beziehung zum Betrachter betont. Auch die Materialien sind vielsagend: Im Gegensatz zu den kalten, antisubjektiven, industriellen Materialien der Sprachen des Minimalismus sind die warmen Hölzer, welche Eric Kressnig sorgfältig für seine Werke auswählt, LeventeBálványos´Stücke gebrauchter Möbel – Tischbeine, Sessellehnen – oder die bedruckten Stoffe von IKEA, wie sie Regina Zachhalmel verwendet, sinnlich und anziehend, bewusst als Resultat einer intellektuellen Reflexion ausgesucht, als Teil des künstlichen Universums unserer Gegenstände produzierenden und konsumierenden Gesellschaft. Die Betrachter können angesichts dieser Bestandteile unmittelbarster Alltäglichkeit schwerlich eine distante oder rigide Haltung einnehmen.

Die Geometrie als normierendes Prinzip: In den Sprachen der Avantgarde des zwanzigsten Jahrhunderts war die Geometrie – Linien, Flächen und Volumen in ihrer reinsten Form – ein Ankunftsort, ein Ziel. Den  Künstler der Gegenwart interessiert die Geometrie nicht als unveränderliches Resultat, sondern aufgrund ihrer Veränderlichkeit und fluktuierenden Bedeutungen.

Mar Vicente, die in ihrem Werk verschiedene malerische Fragen aufwirft (Licht, Tiefeneffekt, Ausführung  der Farbe), reduziert  fast ihre gesamte Arbeit auf die Farben Blau, Rot, Grün und Gelb sowie auf grundlegende geometrische Formen und erzielt auf diese Weise eine außergewöhnliche formale Vielseitigkeit…

Das normierende Prinzip der Geometrie bestimmt auch einen großen Teil des Werks LeventeBálványos´. In seinen bildhauerischen Arbeiten „PszeudoArchitektúra“ (2000) und „Köztéren“ (2000)  beobachtet man unterschiedliche formale Variationen, ausgehend von der bloßen horizontalen und vertikalen Überschneidung von Ebenen, wobei er mit der Beziehung des Außen zum Innen, des Volumens zur  Leere spielt.

Eric Kressnig, der oft mit Codes wie der Frequenz, der Wiederholung oder der Systematisierung arbeitet, zeigt sein Werk „LOVER“, 2012 (einhundertundzwanzig rechteckige Stücke geben die möglichen Buchstabenkombinationen eben dieses Wortes wieder), das man aufgrund seiner Potenz an Variationen und Veränderbarkeiten bewerten muss. Der Künstler wendet diese Kriterien auch auf die Typographie seiner Buchstaben an: Es sind einfache quadratische Formen ohne kalligrafische Reminiszenz und mit systematischen Variationen bei der Dicke der Striche, wobei er sich bewusst vom Prinzip Leserlichkeit/Klarheit, wie es die universellen Typographien des Bauhaus intendierten, entfernt.

Die Werke Regina Zachhalmels, verwirklicht auf der Basis von Resten bedruckter, fachgerecht genähter und gefalteter Kleidung,  bewahren stets eine Netzstruktur regelmäßiger Formen („Ornament und Verbrechen“, 2016 ) oder aber eine konzentrische Struktur („Rotation“, 2017), die einem Mandala gleicht, wo eine perfekte Symmetrie herrscht.

Obwohl scheinbar völlig unförmig, sind auch die malerischen Formen Bertalan Vargas´ geometrisch.

Ebenso wie die Kategorien des Konkreten und des Geometrischen dient auch die Kategorie der Postmoderne dazu, sich der Werke dieser Ausstellung anzunähern. Angesichts des Scheiterns der Moderne als ständige Evolution und als Bruch mit dem künstlerischen Diskurs, der ihr vorausging, akzeptiert das postmoderne Werk die Gleichzeitigkeit von Diskursen und verzichtet auf den Bruch als Form der Emanzipation. Für den Künstler von heute ist die Kunst weit entfernt vom  ernsten transzendenten Anspruch, dem „grandrécit“ der Moderne. Die Postmoderne zeigt sich als intellektuelle Reflexion, aber auch als spielerische Erfahrung, welche die Epik der Moderne überwindet.

Auf diese Weise nähern sich viele Werke der Ausstellung zusätzlich dazu, dass sie die Sprachen der legitimen Erben des Geometrischen und des  Konkreten (Suprematismus, Neoplastizismus, Minimalismus) integrieren, freiwillig künstlerischen Positionen, die eben  diesen fast antagonistisch gegenüberstehen. In den Objekten „Reliefek“ (1997) von LeventeBálványosvermischt  sich die Banalität des  ready-made mit der Poetik der Arte povera. In den fingierten anschwellenden Formen Bertalan Vargas´ ist der Einfluss der Pop Art unverkennbar. Das Werk „LOVER“ von Eric Kressnig präsentiert sich in Form eines  Packs, das die einhundertundzwanzig Stücke und einige Kisten für den Transport beinhaltet, die Werke  von Regina Zachhalmel, die waschbar sind, lassen sich falten und mit Schnüren binden, weiters finden sich die Rahmen austauschbarer Leinwände GáborErdélyis…all das ist ironisches Augenzwinkern, fast wie im Dadaismus, das die traditionellen Grenzen der Rezeption des Kunstwerks in Frage stellt.

(Übersetzt von Heinrich Blechner)

KatalogPOETIKEN DES KONKRETEN: Mar Vicente, Regina Zachhalmel, Eric Kressnig, LeventeBálványos, GáborErdély, BertalánVarga ( VasarelyMúzeum-OSAS Budapest/RittergalleryKlagenfurt  Juni -November 2018)

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