Georgia Creimer im Gespräch mit Pia Jardí – Deutsch

Oktober 24, 2017 by admin Uncategorized 0 comments

P J: Bei vielen pflanzlichen Organismen kommt es zu einem spiralen Wachstum, Gleich einer Kurve, die um einen Punkt oder eine Achse verläuft und je nach Betrachterinnenperspektive sich von diesem/dieser entfernt oder annähert. Diese Idee inspiriert mich, denn in deinem Werk gibt es Materialien, zu denen du – so, als handle es sich um einen lebenden Körper – im Lauf deines Weges immer wieder zurückkehrst, und es gibt charakteristische Formen, auf die du immer wieder zurückgreifst.

G C: Es stimmt: immer wiederkehrend gibt es in meiner Arbeit organische Formen oder zellenartige Gebilde, die Farben Weiß und Schwarz und den konkaven Spiegel, den ich seit vielen Jahren als „Wahrnehmungsapparat“ benutze. Aber auch die natürlichen Materialen, so wie Tierfelle, Pflanzen, Steine, Urin von Hunden.Die Entscheidung etwas noch einmal, aber in einem neuen Kontext zu verwenden ist keine bewusste, sie passiert intuitiv im Arbeitsprozess. Die Entstehung einer neuen Arbeit ist bei mir das Resultat einer Erkenntnis, die aus den Arbeiten selbst kommt. Jede Arbeit gebiert viele potenzielle Möglichkeiten. Das hat insofern mit Natur zu tun und vielleicht mit dem von Dir genannten spiralen Wachstum als die endlosen formbildenden und selbstgenerierenden Strukturen in der Natur sich mit den künstlerischen Formgenerierungsprozessen vergleichen lassen.

P J: Das Publikum, das dein Werk zum ersten Mal betrachtet und die biographischen Daten liest, fragt sich vermutlich gleich, in welchem Ausmaß und wie die brasilianische Kultur eine konkrete Bedeutung in diesem Werk hat.

GC: Ich muss hier an Oswald de Andrade, den brasilianische Dichter und Performer aus den 20er Jahren und sein ManifestoAntropófago (Menschenfresser Manifest) denken, das mit „respektloser Aneignung“ umschrieben werden und als Gegenbewegung zur damaligen europäischen Dominanzkultur gelten kann. Andrade forderte 1928, und ich paraphrasiere, eine Orientierung an der ethnischen und kulturellen Heterogenität Brasiliens, die sich in der produktiven Auseinandersetzung mit den unterschiedlichsten Erfahrungswelten – indigenen, kolonialen – manifestieren sollte. Der Reinlichkeit, Wissenschaftlichkeit und dem „europäischen Verlangen nach Differenz“ setzte er „das tropische Wuchern, Aneignung, Naivität, Wildheit und Poesie“ entgegen. Und „statt das Fremde wegzuschieben, das Fremde fressen“ um so, eine hybride Identität zu schaffen. Diese Gedanken kommen mir sehr entgegen.In meiner Kindheit hatte ich sehr viel Kontakt zur tropischen, explosiven Natur. Nicht nur am Strand, wo meine Familie nahe Sao Paulo ein Haus hatte, aber auch in der Großstadt Sao Paulo selbst. Die Natur in diesen Teilen der Welt ist riesig, fast unbezähmbar und gar nicht „aufgeräumt“. Es ist schon beeindruckend wenn man durch die Straßen geht und sieht wie die Wurzeln eines alten Baumes seine asphaltierte Umgebung durchbrechen und zerstören.Mein Kunststudium in Brasilien hat mich natürlich auch sehr geprägt. Wir hatten damals keine Meisterklassen, sondern verschiedene Professoren mit unterschiedlichen Kunstverständnissen und dadurch einen freieren Zugang zu Kunst. Mein Lieblingsprofessor war der Künstler Nelson Leirner, der Konzeptkunst unterrichtet hat und in seiner eigenen Arbeit sich stark mit Fragen der Populär-Kultur in Brasilien beschäftigt hat. Seine Arbeit ist für mich ein gutes Beispiel genau jenes humorvollen und respektlosen Aneignens von Elementen der Weltkultur im Sinne von Oswald de Andrade.Inzwischen aber lebe ich länger hier als in Brasilien und meine tiefere Beschäftigung mit Kunst fing erst in Österreich an, gleich nach meinem brasilianischen Studium und meiner ersten Einzellausstellung in Sao Paulo im Alter von 23 Jahren. Die Entscheidung nach Österreich zu kommen und hier ohne ein eigenes Kunst-Netzwerk aufgebaut zu haben gleich mit meiner künstlerischen Arbeit zu beginnen hat dazu geführt, dass ich mich sehr auf mich selbst zurückgeworfen fühlte und auch war. Trotz eines kunstaffinen Freundeskreises war das Arbeiten zunächst eine einsame Geschichte, wo ich in einen Prozess der tiefen Verinnerlichung eingetreten bin und hauptsächlich aus mir selbst geschöpft habe.

P J: Du bist nach Österreich gekommen und hier geblieben. Ein Teil deiner Familie hat einen mitteleuropäischen Hintergrund.

G C: Ja, wegen meines jüdischen Backgrounds sind viele meine Vorfahren aus Europa nach Brasilien ausgewandert. Mein Vater immigrierte in den 30er Jahren sehr jung aus dem heutigen Moldavien nach Brasilien. Mein Urgroßvater war Österreicher, seine Frau Holländerin und sind gemeinsam Anfang des 20sten Jahrhunderts nach Brasilien gekommen. In den alten Familienalben war Europa und seine Geschichte immer spürbar und mir war dieses Europa also gar nicht so fremd. Das ist das Schicksal vieler BrasilianerInnen. Vielen habendieser europäische Hintergrund, und haben sich oft auch gar nicht so weit davon entfernt. Mein Vater hat beispielsweise immer jiddisch mit seinen Freunden gesprochen und sein Portugiesisch war voller lustiger Fehler. Heute spreche auch ich ein Deutsch voller lustiger Fehler… Aber ich muss sagen, dass obwohl ich der deutschen Sprache gar nicht so gut mächtig bin (würde man dieses Interview unlektoriert lesen, würde man das gut verstehen) ist sie für mich ein wichtiger Grund hier zu sein. Ein Mensch zu sein mit zwei Sprachen, die unterschiedlicher nicht sein könnten und durch ihre Verwendung lebendig bleiben, ist unglaublich bereichernd und war für meine Arbeit immer wichtig.

P J: Ich sehe zwei große Gemeinsamkeiten zwischen deinem Werk und dem der Brasilianischen KüntstlerinLygia Clark. Eine ist der sensorische Aspekt vieler deiner Werke, der dem Betrachter das Gefühl vermittelt, sie taktil erforschen zu wollen. Wie siehst du das?

G C: Würde man die Bilder taktil erforschen, wäre nur eine kalte, glatte Fläche zu spüren. Aber hier verbindet sich das Auge direkt mit der Körperinnenwelt. Ob ich ein Bild male oder eine Skulptur anfertige, es ist für mich immer wichtig, dass diese Dinge quasi lebendig – und in ihrer eigenen GesetzlichkeitWirklichkeit werden. Diese Lebendigkeit entsteht im Dialog mit dem Betrachtenden und ist das Resultat eines sich Einlassens auf die Begegnung mit der Kunst.Das geht am besten körperlich und weniger mental. Da spielen Begriffe wie „Sensibilität„ oder „somatische Intelligenz“ im Sinne eines körperlichen Spürens eine große Rolle.

P J: Die andere Gemeinsamkeit, die ich sehe, wird in einem Werk sichtbar, das Lygia Clark in 1963 geschaffen hat: O dentro é o fora (das Innen ist das Außen). Ein bewegliches Objekt, das zur Manipulation einlädt und über das die Künstlerin sagte: „Was mich in der Skulptur O dentro é o fora berührt ist, dass sie die Rezeption transformiert, die ich von mir selbst habe, von meinem Körper. Ich werde formlos…“. Diese Arbeit ist die Materialisation des Rationalen und des Irrationalen, des Bewussten und des Unbewussten, eine Auflösung der psychischen und körperlichen Grenzen.

G C: Da muss ich an die Arbeiten Schlafend hell und Schlafend dunkel denken. Sie sind zirka zehn Jahre, nachdem ich nach Wien gekommen bin, entstanden und reflektieren stark was mich damals als Mensch, aber vor allem als Künstlerin beschäftigt hat. Es ging mir damals um Identitätsfragen und um mein Gefühl des Künstlerin-Seins in Wien. Mir ist damals klar geworden wie stark der oben genannte Prozess der Verinnerlichung in diesen 10 Jahre stattgefunden hat: im Unterschied zu Brasilien, wo das Leben ständig nach Außen ruft, war in Wien dieser Ruf vor allem einer nach Innen. Es entstanden diese merkwürdigen Arbeiten, wo mein fotografiertes Gesicht – als exemplarisches Gesicht einer Künstlerin – mit geschlossenen Augen, flach und körperlos in einem Gipskokon, gleich einem Teleskop aus der Wand ragte.Später bin ich zur Malerei zurückgekehrt. Aber auch da habe ichfür mich – und ich tue das immer noch – eine Art Vorspiel kreiert, um Unbewusstem viel Raum zu geben. Ich zeichne meine sogenannten „halb-blinden“ Zeichnungen: mit geschlossenen Augen sitze ich an einem Tisch mit einem großen Blatt Papier und einem Bleistift in der Hand. Die Zeichnungen, die entstehen sind Ausdruck der Beziehung zwischen Hand, Bleistift, Papier und einem mental relativ leeren Zustand. Wie in einem Tanz. Später dann versuche ich etwas in diesen Blättern zu erkennen und mit einem Stift hole ich bestimmte Konturen heraus. Durch diesen Prozess werde ich zur Sammlerin von Formen und Formationen, die das Haupt-Repertoire meiner Zeichnungen und Malereien bilden.

P J:.Der mexikanischer Dichter Octavio Paz hat sinngemäß gesagt: „Der Dichter bedient sich nicht der Worte. Er ist ihr Diener.“ In einigen deiner Werke scheint sich ein archetypisches Universum abzubilden. Es ist präverbal und zeigt sich nur mittels enigmatischer Symbole oder in Bildern, die als mentale Assoziationen erscheinen.

G C: Das ist schön… Das hat etwas sehr Empfängliches und Intuitives. Ähnlich wie die Idee das der Bildhauer die Skulptur nicht erfindet, sondern aus der Stein befreit. Das hat sicher mit eine kollektive Bewusstsein zu tun und mit der Fähigkeit Zufälle aus ihre Banalität zu befreien oder Dinge zu sehen wie wenn es das erste Mal wäre. Ich wage zu sagen, dass Künstler so etwas können…wenn sie Glück haben. Beispielsweise bringt der Titel der Arbeit All thesesigns…zum Ausdruck, dass ich beim Fotografieren von Spuren von Hundeurin empfunden habe. Als ob ich mich fragen würde, was das alles zu bedeuten hätte…. Auch die Arbeit Brut, ist rein zufällig aus übergebliebene handgemachte Kugeln eines alten Projektmodells entstanden, die zur Aufbewahrung im Atelier auf einen Teller aufgetürmt waren. Sie waren jahrelang so liegen geblieben, bis sie eine neue Bestimmung im Kunstraum Weikendorf gefunden haben. Solche Dinge faszinieren mich, weil sie eine Magie auszustrahlen scheinen. Genauer gesehen sind sie aber nichts anderes als KünstlerischeArbeit im Fluss.

P J: Dein Werk ist extrem vielseitig. Es fällt auf, dass du mit Werkzeugen arbeiten kannst, die unmittelbar sind wie beispielsweise das Smartphone, aber auch mit Malerei, die für ihre Fertigstellung viele Wochen in Anspruch nimmt. Was bedeutet für dich Inspiration, wie entsteht das Bedürfnis, etwas zu schaffen und es unbedingt mittels einer bestimmten Technik zu tun?

G C: Kunst zu machen ist für mich eine Übung, es ist ein empirischer Prozess, eine Art Lebenswissenschaft. Es existieren für mich keine Themen die getrennt vom diesen Tun von Interesse wären, alles ergibt sich aus der künstlerischen Tätigkeit. Es entstehen ständig unterschiedliche Bedingungen, sowohl im Leben wie in der Arbeit und als Künstlerin kann ich gut auf Veränderung reagieren. Weil alles gleichgestellt ist, alles ist Material. Manchmal existieren Vorbedingungen, wenn man beispielsweise im öffentlichen Raum arbeitet. Auch solche Bedingungen empfinde ich nicht als begrenzend, sondern ebenso als inspirierende Material und als gleichwertigen Teil des Spiels. Wie zum Beispiel in der Arbeit Wood, die im Rahmen eines Artist-in-Residence-Programms für die kleine Bergdorf Tux in Tirol entstanden ist. Man konnte dort als Künstlerin machen, was man wollte, unter der Bedingung, dass die Arbeit auf Tischen eines alten Gasthauses präsentiert und ausgestellt werden könnte. Ich habe damals dieser Tische als Hauptakteur für eine Fotoserie gewählt. Auch wenn ich keine Vorbedingungen existieren, existieren immer Vorbedingungen, insofern man am arbeiten ist…

P J: Nun zur Malerei: Im Allgemeinen nennt man Künstler, die sich der Malerei widmen, einfach „Maler“, als ob sich diese künstlerische Kategorie eine eigene Erwähnung verdient hätte. Wie ist deine Beziehung zur Malerei?

G C: Malerei ist wirklich eine eigene Disziplin, eine Form der bewussten Selbstregulierung. Selbst wenn da gar keine Regeln sind, führt das Ausbleiben einer Regel auch eine Form von Selbstregulierung. Malen hat etwas „sogartiges“, etwas was sehr stark das Sehen betrifft. Mindestens 50% Prozent des Malprozesses gehören zum intensiven Schauen. Oft stehe ich mich an etwas satt, bis ich es nicht mehr sehen kann…Dieses intensive Sehen in der Malerei hat für mich was erotisches, weil es hauptsächlich mit einen „Vergnügung des Auges“ zu tun hat. Egal was du damit bezweckst und wie konzeptuell du damit vorgehst, es funktioniert nur wenn das Auge zufriedengestellt wird. Das finde ich sehr interessant, vorallem, weil die Entscheidungen die da getroffen werden, rein subjektiv sind.. man kann es gar nicht erklären, aber man weiß es ganz genau. Georgia

Georgia CreimerIncorporadoSchlebrügge Verlag, 2017

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