GEO-NEO-POST – German

Oktober 24, 2017 by admin Uncategorized 0 comments

Ausgehend von der Definition von „mitteleuropäischer Konstruktivismus”, die oft von Historikern verwendet wird, wollten wir der Ausstellung diesen Titel geben. Der „mitteleuropäische Konstruktivismus” bezieht sich auf ein großes Gebiet, geografisch ebenso wie den Inhalten nach; er umfasst sowohl die nüchterne Architektur eines Adolf Loos als auch die immateriellen Experimente eines László Moholy-Nagy. Bei dieser Definition ziehen wir es vor, ihr im Fall, der uns beschäftigt, die unpräzisen, vieldeutigen

Bezeichnungen „neue” und „post-“ voranzustellen, um die Ausstellung zu präsentieren, wobei wir nicht vorgeben, die Grenzen dieser Kunst aus unserer heutigen Perspektive diskutieren zu wollen.

„Geometrische/Neue geometrische/Postgeometrische Kunst/Geometriai/Új Geometriai/Post Geometriai Art” vereint Werke von Künstlern der Gegenwart unterschiedlicher Generationen aus Österreich und Ungarn, die einen gemeinsamen Diskurs pflegen. Dieser Diskurs umfasst sowohl direkt vom Konstruktivismus ererbte Positionen als auch Positionen, die diese Kunstrichtung aus der Perspektive der postmodernen Debatte betrachten.

In diese Ausstellung wollten wir die Werke der Künstler Frederich Kiesler (1890–1965) und Viktor Vasarely (1906–1997), die als historisch etablierte Persönlichkeiten besondere Aufmerksamkeit verdienen, integrieren. Beide Künstler standen in mehr oder weniger direktem Kontakt mit den Bewegungen, die den Konstruktivismus in Angriff nahmen – wie De Stijl oder das Bauhaus – und beide hatten bezüglich der Gegenwart eine visionäre Einstellung. Wir wollten in der Ausstellung den grundlegend experimentellen Charakter der beiden Werke wiedergeben. Deshalb wollten wir uns diesen Werken aus einer Perspektive annähern, die die Suche im Prozess über das Resultat der verwirklichten Arbeiten stellt.

Im Werk Frederich Kieslers gilt es, ein enorm kohärentes Element hervorzuheben, das sich durch sein ganzes Werk zieht: Das konstruktive, strenge Bemühen, offene, durchgehende Räume zu schaffen. In den rationalistischen Strukturen der Zwanzigerjahre (und auch in den organizistischen Formen, die er in den ersten Nachkriegsjahren entwickelte) fasst Kiesler jedes Element nicht als autonome Einheit, sondern als Teil, der mit anderen Einheiten innerhalb eines großen „kontinuierlichen Raumes” in Verbindung steht, auf. Dieser „kontinuierliche Raum” ist das Resultat eines harmonischen Wachstums, das sich durch Kräfte und Gegenkräfte weiterentwickelt und das alle erzeugten Spannungen miteinander verbindet („Endless House”, 1964). Als Architekt, Designer, Bühnenbildner, Theoretiker und Künstler im gegenwärtigsten Sinn des Wortes schuf Kiesler räumliche Einheiten, in die er verschiedene Kunstgattungen integrierte (in die Räume eingebundenes Mobiliar, Beleuchtung dieser Räume, etc.). Diese grundlegende Idee von der Überschreitung der Gattungen, von allumfassenden Räumen (Räume, um zu leben, Räume, um die Kunst zu erleben: „Surrealist Gallery”, 1942) hat Kiesler sowohl auf die Architektur als auch auf die eigene Vorstellung von Kultur angewandt, die in der Gegenwart danach strebt, so global und interdisziplinär zu sein wie die nomadische Einstellung des Individuums, das sie betrachtet, so wie er selbst theoretisierte.

Es besteht eine Parallele zwischen der Idee Kieslers, jedes architektonische Element als potenziell koordinierten Teil des Gesamten zu sehen, und der Systematisierung von Zeichen, die einige Zeit später Viktor Vasarely in der Entwicklung seiner malerischen Forschung durchführte. Mit der Frage der optischen Wahrnehmung als grundsätzlichem Mittelpunkt gelangte Vasarely ausgehend von einem System, das auf minimalen Einheiten fußt, die er „plastische Einheiten” nannte, zur Formulierung einer formalen Sprache universellen Charakters. Diese Einheiten bestehend aus unterschiedlichen Formen/Farben kann der Betrachter (oder eine Maschine) wie die Spielmarken eines Spiels mit anderen Einheiten kombinieren, was es gestattet, das Bild zu verändern und bis ins Unendliche unterschiedlich zu reproduzieren. In diesem System gelangt jede Einheit nur mittels der Dynamik des eingesetzten Codes zu ihrer Fülle.

Eine besonders interessante Periode in der Entwicklung von Vasarelys Forschung ist jene, wo seine Bildkompositionen auf eine minimale Struktur auf der Basis von schwarzen und weißen Einheiten reduziert werden. Diese binäre Gliederung stellt den grundlegenden Schritt vor der Entdeckung der „plastischen Einheiten” dar. Heutzutage stellen die unendlichen Möglichkeiten des binären Schemas, auf dem die Datenverarbeitung beruht, ein eindeutiges Pendant zum ästhetischen Vorschlag Vasarelys dar, der sich dem Thema mittels seiner Bildsprache und konzentriert auf die Frage der optischen Wahrnehmung näherte.

Zwischen den Werken, die wir in dieser Ausstellung vorstellen, besteht eindeutig ein Beziehungsgeflecht, ebenso wie es Verbindungslinien zum Erbe Kieslers und Vasarelys gibt. Es ist unser Vorsatz, unterschiedliche Formen des Dialogs zwischen diesen Werken herzustellen und das gemeinsame konstruktiv-geometrische Prinzip, das ihr Rückgrat bildet, aufzuzeigen.

HEIMO ZOBERNIG

(Geboren in Mauthen, Kärnten, 1958. Lebt in Wien)

Kontrastierend mit der linearen Entwicklung der modernen Periodisierung können die unterschiedlichen Bedeutungsschichten von Heimo Zobernigs Werk nur aus der pluralen und simultanen Perspektive der Postmoderne verstanden werden. Man könnte dann behaupten, dass sein Werk zu gleichen Anteilen Erbe der Strenge des Konstruktivismus und der dadaistischen Subversion sei.

Zobernig lässt sowohl bei der Systematisierung der geometrischen Formen als auch bei der Farbpalette (Der Vierfarbendruck oder der genau geregelte Gebrauch bestimmter Farben für dreidimensionale Objekte) Strenge walten; er wiederholt obsessiv bestimmte Formate, wie das Papiermaß A4 oder der ausschließliche Gebrauch der aseptischen Helvetica in der Typografie. Aber Zobernig integriert in sein Werk auch fremde Elemente, die als Zeichen eines legitimen Vokabulars dienen. Er rehabilitiert so bestimmte Mechanismen und Funktionen, um sie wieder in Gebrauch zu nehmen. Mittels irritierender Fallen – wie die narrativen Assoziationen bestimmter Zusammenstellungen oder die Zitate seiner selbst, die er unerwartet verwendet – stellt Zobernig den Anspruch universeller Gültigkeit der konstruktivistischen Sprache in Frage und ironisiert den „grand récit” ihres Diskurses.

Es gilt, eine interessante Parallele zwischen dem Werk Zobernigs und dem Frederich Kieslers aufzuzeigen: Beide Künstler widmen sich besonders der Frage der Inszenierung. Kiesler war stets sehr an der Inszenierung der Architektur interessiert. Zobernig integriert in sein Werk häufig Sockel, Schaukästen, Vorhänge und andere nicht-künstlerische Elemente, deren Funktion es ist, das Kunstobjekt hervorzuheben und zu bewahren, letzten Endes aber auch zu definieren was Kunst ist und was nicht. Fasziniert von jedweder Form von „mise en scène“ verweist Zobernig derart mit einem weiteren ironischen Augenzwinkern auf den Umstand, dass gegenwärtig das Kunstobjekt zwar sehr geschätzt wird, aber, wenn es sich außerhalb des institutionellen Rahmens befindet, oft nicht als solches erkannt werden kann.

HELGA PHILIPP

(Geboren in Wien 1939- †2002)

Helga Philipp gilbt als Pionierin des Op Art in Österreich. Ihre Tätigkeit als Dozentin an der Akademie für angewandte Kunst in Wien bedeutete einen Einfluss, der von einer ganzen Generation jüngerer österreichischer und mitteleuropäischer Künstler anerkannt wird. Vielleicht auf Grund ihrer Tätigkeit als Dozentin hat Helga Philipp niemals den kritisch-analytischen Anspruch ihres Werkes aufgegeben, das stets von einigen unveränderlichen Grundprinzipien bestimmt war: der ausschließliche Gebraucht geometrischer Formen, die Sparsamkeit bei den Elementen, die Wiederholung, die Serialisierung, die systematische Kombination der Farbe, etc. Gleichzeitig verstand es die Künstlerin, ihrem Werk einen spielerischen und leicht zugänglichen Charakter zu geben, was vor allem das große Publikum sehr schätzte.

In dieser Ausstellung wird das Werk Domino vorgestellt. Auf der Basis von subtilen Farbschattierungen, die einmal heller und einmal dunkler ausfallen, weist jeder Teil von Domino eine Verbindung mit dem vorhergehenden und dem folgenden Teil auf. Zusammengenommen formen sie ein Kontinuum, in dem –je nachdem, wie vorgegeben wird –horizontal oder vertikal ausgeführte Stücke miteinander kombiniert werden. Wie das namensgebende Spiel setzt sich Domino aus sechsundfünfzig Teilen zusammen und erlaubt eine Vielfalt an Kombinationen. Wie das spielerische Prinzip der von Vasarely formulierten „plastischen Einheiten“ erlaubt Domino bei jeder Gelegenheit die Präsentation eines neuerschaffenen Werkes.

MAR VICENTE

(Geboren in Lugo, Galicien 1979. Lebt in Wien)

Mit nur vier Farbregistern und einem standardisierten Format verwandelt sich der Raum des Museums durch den Eingriff der Künstlerin Mar Vicente in ein großes Gemälde, das den Besucher einlädt, darin auf – und abzuwandern, um es zu betrachten.

Manchmal zeigt sich die Farben, ein anderes Mal versteckt sie sich oder vermittelt das Gefühl, das sie sich hinter einer Mauer befindet. Manche Farbe gestattet lediglich das Betrachten ihrer Spiegelung. Eine andere erscheint auf dem Dach, oder verschwindet in einer Mauer. Bei der Farbpalette herrscht eine absolute Reduzierung: Blau, Rot, Gelb und Grün. Je nach dem Wesen der Farbe zeigen sich Oberflächen, die sich ausdehnen, und andere, die sich zusammenziehen…Es findet sich eine reine geometrische Form: das Quadrat. Das gleiche Modul –in Länge und Breite- wird mit An- und Abwesenheiten den ganzen hindurch wiederholt.

Die radikale Reduktion in Form und Farbe rührt nicht- wie man annehmen könnte- von einer intellektuellen Reflexion mit Verweisen auf die Geschichte der Malerei her, sondern es handelt sich dabei um eine Strategie, die darauf abzielt, die Wahrnehmung des Betrachters zu schärfen. Elementare, wirkliche, konkrete Strukturen –Quadrate aus Grundfarben –verbinden sich, um die der Malerei eigenen immateriellen und sinnlichen Effekte zu erzeugen: Illusion von Tiefe, Vibration und Leuchtkraft der Farbe, Schönheit Ihrer Ausführung.

ESTHER STOCKER

(Geboren in Schlanders, 1974. Lebt in Wien)

Es gibt geometrische Formen, die grundsätzlich in dem Sinn dynamisch sind, das ihnen die Fähigkeit zur Expansion innewohnt, das heißt die Fähigkeit, neue geometrische Formen zu generienen. Dieses Prinzip steht mit dem so genannten „kontinuierlichen Raum“ Friedrich Kieslers in Verbindung (mit dem Kiesler seine ersten, eckigen und rationalen Strukturen entwarf; er entwickelte erst später die biomorphen Formen mit Kurven, Ellipsen und Spiralen). Man kann auch beim vielen Werken Esther Stockers von einem „kontinuierlichen Raum“ sprechen, sei es bei den Gemälden oder den Interventionen in den Raum.

Die geometrischen Elemente in den Gemälden Esther Stockers sind mit architektonischer Strenge konstruiert und werden oft auf ein Weiß-Schwarz-Grau reduziert, das von der Art des Lichteinfalls oder des Schattens auf zweidimensional dargestellten dreidimensionalen Körpern herrührt. Diese geometrischen Elemente erschaffen stets einen plastischen, expandierenden Raum.

Man entdeckt Netze, schachbrettartige rhythmische Segmentierung, Sequenzen bei den Kreuzungen und Aneinanderreihungen, modulare Zusammensetzungen, deren Elementen eine nichthierarchische Struktur bilden und alle miteinander in Verbindung stehen. Jeden Zusammensetzung ist das Resultat deduktiver Synthesis bei der ein einziger, sich potenziell in Expansion befindlicher Raum, ähnlich einer neuen kosmischen Ordnung, erschaffen wird.

Übersetzer: Heinrich Blechner

(Katalog GEO-NEO-POST)

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