Forsaken Utopias – German

März 22, 2018 by admin Uncategorized 0 comments

Jede der Landschaften mit Architektur, die in dieser Ausstellung vorgestellt werden – Malereien, Zeichnungen, Fotografien und Filme – erzählt ihre eigene Geschichte. Die Künstler sind sich bewusst, dass diese Landschaften anhand der Darstellung in den verschiedenen Werken konkrete Bedeutungen erlangen.

In diesen Landschaften finden sich oft  Ruinen und verlassene  Architektur. Ruinen in der Natur haben viele Künstler inspiriert: Sie vergegenwärtigen den unaufhaltsamen Schritt der Zeit und erinnern den Menschen an die eigene Vergänglichkeit; sie schaffen einen Raum, den man mit der eigenen Erinnerung, den eigenen Bedeutungen, ausfüllen kann. Im weitesten Sinn sind Ruinen auch ein Symbol für Zerstörung und Verfall.

In der Ausstellung werden auch Landschaften mit Architektur vorgestellt, welche ihre tägliche Verwendung und ihren Wandel in der Zeit widerspiegeln. Hier entdeckt man das, was der Zeit unverändert standhält. Es ist Architektur, die zu einer Metapher für die übereinandergelagerten Schichten der Geschichte wird, der unterschiedlichen Erzählungen, aus denen sie besteht, die diese Erzählungen je nachdem unterstreicht oder versteckt, und die manchmal Bedeutungen freilegt, die erhellender sind als die Geschichte politischer Ereignisse.

Moni K. Huber (Salzburg, 1969) zeigt eine Serie von „Malerei-Collagen“ von Hotels und Freizeitinstallationen an der kroatischen Küste, die während der Sechziger- und Siebzigerjahre des zwanzigsten Jahrhunderts, als der Tourismus begann, zu einem Massenphänomen zu werden, von angesehenen Architekten erbaut wurden und von denen heute nur noch Ruinen verblieben sind. Es waren opulente Bauten, deren Innengestaltung namhaften Spezialisten anvertraut wurde, so dass sie zu einer Art von Schaufenster der Qualitäten des „offenen Sozialismus“ wurden, mit dem Jugoslawien sich der Welt präsentierte. Viele dieser Gebäude, die ein Teil des kollektiven Gedächtnisses sind, weil sie der Ort des Sommerurlaubs vieler mitteleuropäischer Familien waren, wurden während des Jugoslawienkrieges in improvisierte Flüchtlingsheime verwandelt und später verlassen.

Moni K. Hubers einzigartige malerische Technik – auf der Basis von an der Leinwand angebrachten Fragmenten von Fotografien und Wasserfarben – führt in gewisser Weise das Auge des Betrachters, welches sich – hat es einmal das Bild in seiner Gesamtheit wahrgenommen – bei jedem einzelnen dieser kleinen Fragmente aufhält, als seien es Bilder für sich und gleichzeitig Teile eines großen Bildes.Zwischen diesen Fragmenten auf der großen Leinwand entdeckt man Fotos sehr konkreter architektonischer Details oder Farbverdichtungen, die Umrisse sichtbar werden lassen und sich in Felder aus Farbe verwandeln; es gibt Wasserfarbenfragmente auf Papier, die den Himmel erhellen oder einen Gegenstand so in Licht tauchen, als sei er die Spiegelung der Sonne, wobei das alles eine fast impressionistische Atmosphäre schafft, als handle es sich um die Vision eines einzigen Augenblicks – eine Darstellung aus Fragmenten, so wie die Fragmente, aus denen unser Gedächtnis besteht.

Als impressionistisch bezeichnen könnte man auch die verschiedenen Versionen des schönen Badehauses von Balokany südöstlich der ungarischen Stadt Pécs, von dem heute nur noch Ruinen stehen. In der Ausstellung zeigt Csaba Nemes (Budapest, 1966) auch die Serie von Zeichnungen Számozottutcák (wörtlich: „nummerierte Straßen“) von einer ehemaligen Industriesiedlung in einer Vorstadt von Miskolc. Számozottutcákbesteht aus kleinen Häusern, in denen viele Roma-Familien leben. Heute sind viele dieser Familien gezwungen, das, was jahrelang ihr Zuhause war, zu verlassen.

Weiters zeigt der Künstler den Film Györgytelep, der mittels Zeichnungen ein Interview mit einem ehemaligen Bergwerksarbeiter in Pécs wiedergibt. Er erklärt, dass in der Bergwerkssiedlung ein großer Teil der Arbeiter Roma waren und dass es diese – und andere Arme – waren, welche die härtesten Arbeiten verrichteten und den niedrigsten Lohn erhielten. Heute sind die Bergwerke verwaist, aber die Roma-Familien und andere arme Familien leben weiterhin in der Siedlung. Später sind weitere Roma-Familien dazugestoßen und haben sich in der Gegend niedergelassen, so dass diese mehr oder weniger zu einer Roma-Siedlung wurde. Der Dialog des Interviews erklärt, dass die Beziehung zu den Roma-Familien nicht von Konflikten belastet war, und deckt die Bedingungen extremer Armut auf, unter denen diese weiterhin leben.

In beiden Arbeiten beschäftigt der Künstler sich mit der Wirklichkeit der Roma, der größten ethnischen Minderheit im heutigen Ungarn. Unter dem sozialistischen Regime wurden viele Roma-Kinder im Zuge einer Politik der „Integration“ eingeschult. Ähnlich geschah es mit traditionellen Beschäftigungen erwachsener Roma – Schrotthändler, Schleifer, Schmied; diese ambulanten Tätigkeiten wurden in der sozialistischen Zeit allmählich aufgegeben. Zu erwähnen ist auch, dass durch diesen Prozess der „Integration“ die Sprache und die Traditionen der Roma unterdrückt wurden. Mit dem Fall des Sozialismus wurde die „Integration“ von der heutigen Situation überlagert, von der völligen Nichtbeachtung dieser Gruppe durch jüngere Regierungen. In der heutigen ungarischen Gesellschaft werden die Roma ziemlich allgemein als gefährliche, faule und aggressive Menschen wahrgenommen. Csaba Nemes konfrontiert den Betrachter mit dem Phänomen, wie Vorurteile aufgebaut und zu gesellschaftlich akzeptiertem Konsens werden. Die Zeichnungen auf Papier und in dem Film – die diesen zu einer Art Animationsfilm machen – bestehen aus energischen, vibrierenden Strichen, manchmal ist die Kraft der Farbe charakteristisch, die der Künstler verwendet, um in einigen Teilen auf Details aufmerksam zu machen. Alle zeigen Landschaften voller Ausdruckskraft, wo der Betrachter die ärmlichen Umstände des Lebens in dieser heruntergekommenen Architektur erahnt.

Von Andrea Kalinová (Bratislava, 1980) wird die Serie von Fotografien Hot Moderngezeigt, die in einer slowakischen Therme, eine von vielen in der Region, entstanden ist. Wahrscheinlich sind einige der Geschichten dieser – ehemals –„Bäder“ einer breiteren Öffentlichkeit bekannt, wie jene von Piešťany, das in der Habsburgerzeit erbaut und vom höchsten europäischen Adel besucht wurde. Nach dem Fall der Monarchie wurden viele dieser Bäder verstaatlicht und unter dem sozialistischen Regime wurden sie zu öffentlichen Gesundheitszentren. Heute sind viele dieser Bäder privatisiert und als Thermerenoviert: Die Bauten, die im Dienst der vom Regime geförderten kollektivistischen Bedürfnisse entstanden sind, wurden teilweise abgeändert, aber es sind auch Zonen verblieben, welche die ursprüngliche Struktur bewahren.

Mit einem strengen Sinn für Objektivität fokussiert Kalinovás Kamera die Zementbauten – monolithisch und großspurig von außen gesehen, was mit der Wärme der Details und einer herzerfrischenden Gemütlichkeit des Mobiliars und des Ambientes im Inneren kontrastiert.Eigenwillige Blickwinkel vermeidend und Frontalansichten mit gleichmäßigem Licht und extremer Feldtiefe bevorzugend, birgt die Künstlerin anonyme Schauplätze oder Details dieser Architektur, die jahrelang unverändert geblieben sind, so als sei die Zeit stehen geblieben; daraus entstehen sehr ausgeglichene, klassische, wunderschöne fotografische Kompositionen.

All diese Architektur legt Zeugnis ab für eine Zeit, die unwiderruflich vergangen ist oder sie spiegelt – im Gegenteil – die unantastbare Essenz der Zeit wider. Manches davon wurde als wahrhaftes Paradigma der Moderne entworfen und steht aus heutiger Sicht für das Scheitern einer Utopie, die eine bessere Welt angestrebt hat.

Zuletzt sollte die Frage gestellt werden, bis an welchen Punkt diese Landschaften, die sich alle in Mitteleuropa befinden, eine ästhetische Bedeutung im strengsten Sinn des Wortes haben. Der kastilische Schriftsteller Julio Llamazares meint, dass – so wie es eine Muttersprache gibt, die einen lehrt, die Dinge zu benennen – es auch eine „Mutterlandschaft“ gibt. Für den, der diese Landschaften als sein Eigenes empfindet, ist es schwierig, sich dem subjektiven Eindruck zu entziehen, den sie erzeugen, bringen sie doch die Illusion einer vergangenen Zeit zurück, die vielleicht besser war.

(Übersetzt von Heinrich Blechner)

Katalog FORSAKEN UTOPIAS ( BudapestGaléria, Budapest  / Slovak Union of Visual Arts/SlovenskáVytvarnáÚnia, Bratislava / Galerie Knoll und Gans Galerie, Wien   September 2017-Januar 2018)

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